Nachwort

Ein paar wenige Worte zum besseren Verständnis zum Schluss: In diesem Buch mischen sich, wie in jedem historischen Roman, Geschichte und Fiktion. Alles, was die Familien Tuchscherer und Goldschmidt betrifft, ist von mir erdacht worden. Nicht erfunden habe ich die erwähnten historischen Figuren und die Ereignisse, die mit ihnen in Zusammenhang stehen. Die aufgeführten Magdeburger Erzbischöfe haben gelebt, gedacht, intrigiert, gehofft und für ihre Sache gekämpft und ebenso die Könige, Kaiser und Päpste, die im Laufe der Handlung auftauchen. Ich habe mich weitgehend an die Historie gehalten. Nur einmal habe ich etwas erfunden, um die Geschichte forterzählen zu können: Erzbischof Albrecht hat Friedrich II. nicht auf dem berühmten Kreuzzug ins Heilige Land begleitet. Wohl aber hat er die kaiserliche Delegation geleitet, die beim Papst die Aufhebung des Kirchenbanns über den Kaiser bewirken sollte. Der Papst hielt sich zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht, wie von mir dargestellt, in Rom auf. Um aber den eindrucksvollen Zustand der vatikanischen Bauten bereits zu dieser Zeit beschreiben zu können, habe ich die Delegation nach Rom reisen lassen.

Erzbischof Albrecht von Käfernburg ist weit weniger bekannt als sein Amtsvorgänger Wichmann, gleichwohl war er einer der wichtigsten Berater der Kaiser und Könige seiner Zeit. Und die kriegerischen Ereignisse, in die das Doppelkönigtum das Erzbistum Magdeburg stürzten, sind allesamt überliefert, von der Schlacht bei Remkersleben über die Zerstörung der Magdeburger Vororte und der Dörfer im Umland, die Entführung des Erzbischofs auf die Burg Gröneberg bis zum versuchten Sturm Ottos IV. auf Magdeburg. Auch die Ämter, die Albrecht für den Kaiser in Italien ausübte, sind historisch verbürgt.

Ein Mittelalter-Roman, in dem es nicht vor Blut trieft, in dem nicht ständig gehenkt, geköpft und vergewaltigt, überfallen und gevierteilt wurde – geht das denn? War das denn Mittelalter?

Die Epoche, die wir heute Mittelalter nennen, umfasste einen Zeitraum von beinahe tausend Jahren. Innerhalb dieser langen Zeitspanne gab es sowohl sehr kriegerische als auch ruhigere Zeiten. Ja, selbst innerhalb der größten Unruhen und Kriege konnte es Orte geben, die davon nicht berührt wurden. Mir war es wichtig, eine Zeit (das 13. Jahrhunderts) und einen Lebensraum (die Stadt) zu beschreiben, die eine rasante Entwicklung im Bauwesen, im Handel, in der Gründung von Städten und in der Entwicklung der Städte ermöglichte, wo die reich gewordenen Stadtbürger, das Patriziat, sich nach und nach Rechte gegenüber den Stadtherren erstritten, wo die städtische Selbstverwaltung ihren Anfang nahm und damit der Keim einer Entwicklung gelegt wurde, deren Wirkungen wir bis heute spüren. Die Höchstleistungen, die im 13. Jahrhundert auf den verschiedensten Gebieten erbracht wurden, wären nicht möglich gewesen, wenn es nicht eine gewisse Stabilität gegeben hätte, wenn die Mauern der Städte nicht Sicherheit geboten hätten, wenn alles nur Krieg und Chaos und Willkür gewesen wäre. Ich habe versucht, am Beispiel meiner Heimatstadt Magdeburg, die eine der größten, reichsten und bedeutendsten Städte im deutschen Reich des Mittelalters war, diese Entwicklungen zu beschreiben. Die Familie Tuchscherer steht für das städtische Patriziat, das mit Fernhandel zu Reichtum gekommen war und dann versuchte, sich gegenüber dem Stadtherrn, der im Falle Magdeburgs ein Erzbischof war, zu emanzipieren.

Der Magdeburger Dom ist der erste Dom Deutschlands, der zum größten Teil im Stile der Gotik erbaut wurde. Auch wenn seine ältesten Teile (vor allem der Kapellenkranz) spätromanische Züge tragen, haben spätere Baumeister mit ihren Planungen die gotische Bauweise durchgesetzt. Der Magdeburger Dom ist auch der einzige, der samt seiner Türme noch in der Zeit der (Spät-)Gotik vollendet wurde. Der vielgerühmte Kölner Dom stand jahrhundertelang mit seinem Kran als Bauruine, bis er in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert, nach dem wundersamen Wiederauffinden der Baupläne, vollendet wurde. Wir Magdeburger haben allen Grund, stolz zu sein auf die Anstrengungsbereitschaft der Bürgerschaft während der Jahrhunderte der Bautätigkeit, die letztlich zur Vollendung eines so gewaltigen Bauwerkes geführt hat. Auch damals war es das Geld, an dem vieles hing. In Magdeburg, einer der reichsten Handelsstädte des Mittelalters, wurde es immer wieder bereitgestellt, um den Dombau zu vollenden.

Mancher Leser mag sich gewundert haben über die Erwähnung von Osttürmen. Einer Domkirche mehr als zwei Türme zu geben, war im 13. Jahrhundert in Mode gekommen. So hatte man dann auch für Magdeburg Osttürme zusätzlich zu den ursprünglichen Planungen ergänzt. Sie wurden aber nicht über die Höhe des Daches hinaus ausgeführt. Wer sich die Mühe macht, den Dom einmal genau zu betrachten, wird sie in den Ecken zwischen Hohem Chor und Querhaus finden.  Sie enden auf der Höhe der kleinen Galerie, die auch den Hohen Chor abschließt, und sind, wie ihre Bezeichnung schon vermuten lässt, besonders gut von Osten zu erkennen.

Wo im Magdeburger Dom Erzbischof Albrecht bestattet ist, weiß man heute nicht mehr. Seine Leiche wurde aus Italien nach Magdeburg überführt und im Dom beigesetzt. Aber keine prächtige Grabplatte erinnert heute sichtbar an ihn. Er ist nicht im Dom präsent, anders als sein Vorgänger Wichmann von Seeburg, obwohl von ihm maßgeblich der Impuls zum Bau des heutigen Domes ausging. Das Relief vom Hirten (Erzbischof Albrecht), der den Wolf (Welf) abwehrt, befindet sich am Kapitell einer Säule in der Kapelle südlich der Mittelkapelle, in der die Gebeine der Königin Editha ruhen. Die sterblichen Überreste Albrechts aber hat man dort nicht gefunden. Wo immer er auch ruht, ruhe er in Frieden.

Und Lorenz? Nun, den habe ich erfunden und ihm einen Weg zum berühmten Naumburger Meister erdacht. Und schließlich habe ich ihn zum Schöpfer der berühmten Magdeburger Jungfrauen gemacht. Die Forschung möge mir verzeihen. Der Meister, der diese Statuen geschaffen hat, ist bis heute unbekannt. Ich bin in meiner Erzählung der Variante gefolgt, dass die Statuen von Anfang an ihren Platz am Querhaus-Portal haben sollten, wo sie jeder Dom-Besucher sehen kann. Es ist aber durchaus möglich, dass sie ursprünglich nicht für die heute so genannte Paradiesvorhalle gedacht waren, sondern einen anderen Platz im Dom finden sollten, vielleicht an einem Lettner. Ob das so war, hat die Forschung bislang nicht geklärt. Sie sind das Beste und Schönste, was die mittelalterliche Bildhauerkunst im und am Dom hinterlassen hat.